Der Shiba Inu und die Schleckmatte
Krasse Geschichte, ich geb's zu.
Aber leider traurige Tatsache.
Viele Hunde kriegen eine Schleckmatte statt echte Beziehung.
Influencer, Facebook & Co. lassen grüssen.
Ich wusste sofort, dass da etwas schiefgelaufen war. An diesem Tag war viel Schnee gefallen, sodass die Wohngemeinde mit der Schneeräumung total überfordert war. Ich nahm den Bus und stapfte guter Laune zum Eingang des Hauses. Mich erwartete eine freundliche junge Frau mit einem scheuen Shiba Welpen, der inzwischen 15 Wochen alt war. Sie war gerade vom Gassi zurück. Ihr Welpe zog wie verrückt am Geschirr. Ich spürte sofort, dass dieser Welpe sehr einsam unterwegs war, irgendwie in seiner eigenen Welt, ohne jemals Kontakt mit seiner Besitzerin aufzunehmen. Und er war zutiefst verunsichert.
Drinnen im Haus erwartete mich ein gänzlich für den Hund eingerichtetes Wohnzimmer. Es gab 3 Hundebetten, und überall lag Spielzeug samt Schnüffelteppich herum, in der Küche standen ein gefüllter Antischling-Futternapf, daneben das Wasser und eine Schleckmatte.
Die Kundin stellte mir ihre Fragen. Es waren Fragen, die mir erneut signalisierten: hier läuft nichts, wie es laufen sollte. Nach einigen Fragen meinerseits war klar: Das war der krasseste «Social Media Fall», der mir je begegnet war. Was war geschehen?
Die Kundin war am Anfang als Neuhundehalterin sehr unsicher und hatte sich Rat in einem Forum und einer Shiba-Inu Facebook Gruppe geholt. Dort wurden offenbar von ebenfalls-Laien Tipps und Tricks ausgetauscht, die grob gesagt «nicht von diesem Hunde-Stern» waren.
Ich versuche einmal, die verschiedenen Elemente dieses Social Media Phänomens grob aufzuzeichnen:
- Die Idee, bei Fragen oder Unsicherheiten die sogenannte Schwarmintelligenz um Rat zu fragen, ist ja nicht falsch. Allerdings ist zu beachten, dass ein Laie z.B. in einer Facebook Gruppe auf den ersten Blick nicht sehen kann, wer ebenfalls blutiger Anfänger ist, und wer tatsächlich Wissen und Erfahrung hat.
- Der Wunsch, sich mit anderen Besitzern derselben Rasse auszutauschen, ist selbstverständlich. Man könnte hier den Eindruck haben, dass die anderen genau wissen, wovon man selbst redet, von Problemen und Erfolgen, von Gemeinsamkeiten. Das verbindet und gibt den einzelnen Mitgliedern das Gefühl einer wohltuenden Gemeinschaft.
- Und hier lauert auch schon die erste Gefahr: die Menschen in der Gruppe schaukeln sich gerne gegenseitig hoch in dem Sinne, wie schwierig diese bestimmte Rasse doch ist, und dass es normal ist, dass man ein bestimmtes «Problem» hat. Auch ein solches Problem verbindet – allerdings nur die Menschen auf dem entsprechenden Online Portal, jedoch nicht den einzelnen Menschen mit seinem Hund. Lösungen für solche Probleme finden sich immer in der echten Auseinandersetzung mit dem Wesen Hund. Stattdessen verkaufen sie dort meist nur «physische Hilfsmittel» oder «Online-Rezepte zum 1:1 Kopieren». Vor allem aber versuchen sie, die Menschen so lange wie möglich dort drin zu behalten.
- Der Mensch tappt hier in die Falle, mehr und mehr in eine virtuelle, von Menschen gemachte Ersatz-Realität abzudriften, die so gar nichts mit dem eigenen Hund zu tun hat. Das Denken eines solchen Menschen verfestigt mit der Zeit mehr und mehr in die Richtung der Probleme und ihrer Scheinlösungen, die jedoch oft nur auf derselben Ebene des Halbwissens oder gar des Nicht-Wissens hin und her geteilt wird, ohne die einzelnen Mitglieder wirklich weiterzubringen. Stattdessen wird ohne Ende die Welt des Konsums bedient.
- Diese Menschen haben einen Shiba (oder eine andere Hunderasse) bei sich aufgenommen, weil sie diese Rasse offenbar fasziniert (oder sie gerade im Trend ist). Dieser Rassen-Faszination gehen sie online als Hobby nach, teilen sie im Internet mit anderen Menschen auf der ganzen Welt und kriegen so ein tröstliches Gefühl, aufgehoben, verstanden und betreut zu sein. Ob das «Wissen», das hier ausgetauscht wird, auch zielführend und seriös ist, wird meist gar nicht hinterfragt.
- Im schlimmsten Fall kann es fast süchtig machen, sich mit Fotos und täglichen Berichten miteinander auszutauschen. Der Austausch findet jedoch nur unter Menschen statt, die wohl in vielen Fällen immer weiter weg von der Realität und damit vom eigenen Hund wegführen.
- Mit Sicherheit werden sich in diesen Gruppen auch Influencer aufhalten, die nicht das Ziel haben, die Menschen mit ihrem Hund mental und emotional näher zusammenrücken zu lassen. Vielmehr besteht ihr Ziel darin, ein gewisses Produkt wie z.B. den Schnüffelteppich oder dessen Plastikvariante, die Schleckmatte, zu bewerben.
- Wahrscheinlich ist auch, dass Internet Marketer sich hier einklinken und ihre eigenen oder von ihnen beworbene Online Kurse zu verkaufen suchen. Sie gehen so vor, dass sie bereits im Internet vorhandene Informationen zusammenkopieren, neu aufmischen und dann als den letzten Schrei und gemäss den neusten Trends bewerben und verkaufen. (Aus meiner langjährigen Erfahrung heraus mit der Arbeit zusammen mit Menschen und Hunden kann ich jedoch versichern, dass Online-Unterricht immer nur Ergänzung für 1:1 Unterricht sein kann, niemals aber Ersatz.)
- Oder es handelt sich um Leute, die einfach ihr Geld mit Provisionen verdienen wollen und damit selbst beruflich weit weg von Hundehaltung und Hundeerziehung sind. Was ja legitim wäre, wenn man damit einfach Geld verdienen möchte. Zielführend für die Kunden ist es jedoch nicht, und für die Hunde meist eher schädlich:
Da wurde z.B. eine Verkaufsseite für verschiedene Hunde-Onlinekurse beworben. Der Anbieter brüstete sich damit, alle diese verschiedenen Kurse und deren ebenso verschiedenen Inhalte / Erziehungsmethoden persönlich mit seinem eigenen Hund durchgetestet zu haben, weil er ja nur Kurse verkaufen würde, die auch wirklich seinen Ansprüchen genügen würden. Armer Hund…
Zurück zur Kundin. Sie befand sich schon so weit in der virtuellen Welt, dass sie es nie geschafft hatte, sich emotional und mental selbst und mit ihrer eigenen Empathie auf das vierbeinige Wesen im Flauschepelz einzulassen, welches sie und ihre reale Präsenz doch so sehr brauchte. Sie kam erst gar nicht auf die Idee, eigene Erfahrungen und damit Erlebnisse mit ihrem Welpen zu gestalten. Erst als sie merkte, dass irgendetwas nicht stimmte, suchte sie Hilfe bei mir. Ich versuchte ihr nahezubringen, wie wichtig gewisse Elemente der Rudelordnung, aber auch die Körpersprache wären, um mit dem Welpen ins Gespräch zu kommen. Dass 2 Spielzeuge ausreichend wären und sie ihrem Welpen eine grosse Freude machen konnte, wenn sie mit ihm spielen würde, statt ihn mit der Schleckmatte ersatz-zu beschäftigen. Und ja, dass Welpen auch mal mit ihren spitzen Zähnchen zubeissen können, wenn sie es mit der Beisshemmung noch nicht so im Griff haben. Willkommen in der Hundewelt!
Als sie dann auch noch erzählte, dass sie mind. 1mal pro Woche geschäftlich unterwegs wäre und den Welpen dann jeweils an einen Hundesitter abgeben würde, war bei mir Schluss. Ich konnte und wollte nicht mit ihr zusammenarbeiten, denn zu sehr war die Kundin schon in einer fiktiven Welt, in der ich sie nicht mehr erreichen konnte, und auch die allgemeinen Haltungsbedingungen waren schlichtweg nicht artgerecht, weil sie mit ihrem Vorgehen weder eine Bindung aufbauen noch diese Verbindung jemals würde aufrechterhalten können, u.a. weil sie wohl mehr «Hundezeit» in Internet als mit ihrem Welpen verbrachte und ihren Welpen auch noch regelmässig aus ihrer Gemeinschaft verbannte.
Ich konnte somit dem Welpen nicht helfen, weil Frauchen in einer anderen Welt abgetaucht und nicht wirklich fähig noch willig, sich real und mit Empathie und Verantwortung dieser pelzigen Herausforderung zu stellen. Es war einer der traurigsten Momente in meiner Tätigkeit als Hundeerziehungsberaterin.
PS: Für diejenigen Leser, die ebenfalls meinen, einen Shiba Inu könne man nicht erziehen und niemals frei laufen lassen, weil er nur Jagen im Kopf und mehr Ähnlichkeit mit einer Katze als mit einem Hund hätte, und man müsse ihn stattdessen einfach mit viel Spielzeug, einem Schnüffelteppich und einer Schleckmatte bei Laune halten: das alles sagen die Hunde-Industrie resp. Social Media. Es ist nicht wahr.